Wie entstehen eigentlich wissenschaftliche Fragestellungen? – In meinem Fall oft in der wöchentlichen Kaffeepause mit der „Etage“. Da die Uni Mainz aus allen Nähten platzt, finden ab und zu Raumverteilungsaktionen statt, die zu ungewöhnlichen Kombinationen führen können. In meinem Fall sitze ich nicht bei den anderen Historikern, sondern auf einer Etage der Drittmittelprojekte: hier findet sich ein Projekt zur Kirchengeschichte, Arbeitsgruppen zu Alphabetisierung oder Nordischer Sprachwissenschaft, Doktorandengruppen der Geschichte, Medienpädagogik, Soziologie oder Sozialpädagogik und einzelne Mitarbeiter aus der Kunstgeschichte, Geschichte, Politik, Amerikanistik, Romanistik und Germanistik.
Gemeinsam haben wir, dass wir alle mit Qualifikationsschriften beschäftigt sind (viele Doktoranden und einige PostDocs) und dass wir alle ein erhöhtes Koffein- und Austauschbedürfnis haben.
Nach dieser langen Vorrede: so kam es also am heutigen Mittwoch zu der Diskussion um Methoden und Theorien und zu der Frage, welche Methode ich den bei meiner Diss benutze. Meine (typisch Historiker?) Antwort war „Quellenkritik“. Doch inwieweit ist dies wirklich eine Methode, die mit den Methoden der Sozialwissenschaften vergleichbar ist? Mein Standpunkt war zunächst, dass in der Geschichtswissenschaft ohnehin selten von Methode und Theorie gesprochen wird und wenn, sich diese grundsätzlich von den Sozialwissenschaften unterscheiden.
Ich würde eher von unterschiedlichen Forschungsrichtungen und Gegenständen sprechen, bei übergreifenden Konzepten vielleicht noch von Modellen. Andererseits fehlt mir auch das Wissen, was mit Methode und Theorie in anderen Wissenschaften genau gemeint ist – wie sieht das dann praktisch aus? Gibt es überhaupt einheitliche Definitionen dieser Begriffe? Und die zentrale Frage: wann habe ich Zeit, mich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen?
Schwierige Frage. Es gibt durchaus Theorieverfechter in den Geschichtswissenschaften, die ihre Theorien für sehr wichtig halten. Andere halten nicht so viel von einer theoriegeleiteten Geschichtswissenschaft, aber man sollte doch etwas Ahnung davon haben. Außerdem gibt es recht gut geschriebene Einführungsbände, z.B. von UTB, die einen guten Überblick bieten und in jeder UB rumstehen.
Methoden sind wieder etwas anderes. Ich habe auf dem Workshop heute dein Thema zwar gehört, es mir aber nicht aktiv gemerkt 😉 Es kamen auf jeden Fall verschiedene Länder vor und da bieten sich auf jeden Fall die Methode des Vergleiches an (d’oh, der Vergleich ist aber nicht nur einfach so vergleichen, sondern hat auch gewisse Ansprüche). Ansonsten schau dir mal die Histoire croisee an oder die aktuellen Debatten über eine transnationale Geschichtsschreibung. Je nach Thema könntest du damit einiges rausholen.
Vielleicht liegt mein Verständnisproblem auch eher in dem, was ich alles nicht von den anderen Fächern weiß und es wahrscheinlich total überbewerte. Ich habe immer diese Großtheorien der Soziologie vor Augen, die komplett das Handeln und/oder Sein des Menschens erklären (wollen) und finde dafür kein Äquivalent in der Geschichtswissenschaft. Die genannten Ansätze, ergänzt noch um Kulturtransfer, versteh ich jedoch eher als Ansatz zur Forschung. Am ehesten kommt da der historische Vergleich meiner Vorstellung von Methode nahe.
Ich glaube, dass der fundamentale Unterschied die Prognosefunktion von Theorien ist. Andere Wissenschaften versuchen die Welt mit ihren Theorien zu strukturieren und damit auch Vorhersagen über die Zukunft zu treffen. Wenn die Wirtschaftswissenschaften irgendwelche Theorien über Konsumenten oder Aktienkäufer entwickeln, dann wollen sie nicht nur wissen, wie es gerade ist, sondern auch, wie diese sich morgen verhalten werden. Daher ist es in diesen Wissenschaften auch verbreitet, dass jemand in seiner Arbeit sich auf ein bestimmtes Vorhersagemodell beruft. In den Geschichtswissenschaften ist das aber deutlich weniger sinnvoll. Aus der Geschichte lernen kann man sicherlich was, mit ihr die Zukunft aber nicht vorhersagen.