Ist es nicht ein wunderbares Wort? Nach ausführlichen Lernen kann ich es aber inzwischen schneller schreiben als sprechen 🙂
Doch zum Thema: Verlagsgeschichtsschreibung ist ein überaus spannendes Gebiet zwischen Buchwissenschaft und Geschichte, je nach Verlag greift es über in die Literaturwissenschaft oder spezielle Wissenschaften (z.B. Medizin für einen medizinischen Fachverlag) und die Aufgabe, den Spagat, den jeder Verlag zwischen Wirtschaftsunternehmen und z.B. Literaturproduzent leistet, ist nicht einfach unter wissenschaftlichen Aspekten zu betrachten.
Methoden der Verlagsgeschichtsschreibung
a) Mögliche Gliederungen einer Verlagsgeschichte
– thematisch nach inhaltlichen Schwerpunkten; oft essayistisch und Problem des Zusammenhalts
– chronologisch nach historisch-politischen Zäsuren stimmen meist nicht mit verlagsinternen Zäsuren überein (auch nicht 3.Reich), Literaturepochen können für Belletristik-Verlage treffend sein (Naturalismus – S. Fischer Verlag), müssen aber nicht => Einteilung nach historischen Epochen der Politik, Literatur, Kultur, Wissenschaft oder Buchhandelsgeschichte kann im Einzelfall sinnvoll sein, gilt aber nicht generell; für wissenschaftliche Untersuchungen kann die Einschränkung auf eine besondere Epoche sinnvoll sein und gut mit thematischen Schwerpunkten verbunden werden; weitere epochenbezogenen Betrachtungen: technisch, betrieblich (Übernahme), wirtschaftlich (Inflation)
– biographisch nach Verlegerpersönlichkeiten (Typologien) oft nicht aussagekräftig, andere Entscheidungsträger werden ausgeschlossen, Gefahr der „Verlegerperspektive“ und zu vieler Anekdoten
b) Zu beachtende Aspekte beim Verfassen einer (wissenschaftlichen) Verlagsgeschichte (abhängig von Zielgruppe, Darstellungsform, Quellen, Verlag und Auftraggeber)
– technische Aspekte (neue Erfindungen, Anschaffung neuer Maschinen, Umstellungen auf andere Techniken)
– betriebswirtschaftliche Aspekte (Fusionen, Übernahme): Bilanzen, Erfolge und Mißerfolge, Marketing, Kundenbetreuung,
– verlagsinterne Berufsgruppen (Verleger, Lektor, Vertrieb, Marketing, etc.)
– Verlagsorganisation (einzelne Abteilungen, rechtliche Form) -> besonders für große Verlage, eher ungeeignet für kleine
– Analyse der Programmentwicklung
– Standort (einer oder mehrere, Einfluss des Standortes auf Programm, Vertrieb o.ä., Architektur)
– Positionierung innerhalb der Branche, der Gesellschaft, Geschäftsbeziehungen
– Repräsentation (Architektur, Festkultur)
– Engagement in (Standes-)Organisationen
– Entscheidungsprozesse
– Selbstverständnis/ Firmenphilosophie / Tradition
– Wirkung / Rezeption des Programms
– Frage nach Methodik / passender Theorie oder Kombination aus Theorien; -> Frage nach Darstellung
– mögliche Perspektiven: kulturell (Programm); wirtschaftlich; organisatorisch; semiotisch (Image, Materialität, äußere Erscheinungsform des Buches); kommunikativ (nur eingeschränkt, da die Diskussion über Bücher nicht in Büchern stattfindet)
– Wissenschaftlichkeit durch wissenschaftlichen Apparat, Argumentation, Kritik, Sprache, Methodik, Offenlegung der Arbeitsweise und von Schwierigkeiten
c) Klassische Verlagsgeschichten
– verstehen sich als Teil der Kulturgeschichte => Verlag als Kulturträger, nicht als Marktteilnehmer
– konzentrieren sich auch Autoren-Verleger-Beziehungen und Wirkung der Titel auf die entsprechenden Diskurse, wirtschaftliche Aspekte fehlen oft bzw. kommen nur in Krisenzeiten zur Sprache, wobei oft dafür auch die Quellen fehlen
– in der Realität stehen die Verleger mit je einem Bein im Kulturbereich und im Markt („Kultur und Profit“) => Mischkalkulation hat sich als probates Mittel erwiesen, damit umzugehen => Darstellung dieser fehlt in den Verlagsgeschichten
– orientieren sich an den Personen (Verleger, Autoren)
d) (Neue) Methoden/ Ansätze
Triebel, Florian:
– „kulturunternehmerischer Ansatz“, der sich von der Unternehmensgeschichte ableitet und speziell für Kulturbetriebe gedacht ist
– dreistufiges Modell untersucht die Beziehungen des Verlags zum „Autorenmarkt“ (zur Produktion ihrer Waren), der sich in einen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext einordnen lässt, zu weiteren Produzenten (Drucker, Banken, Buchbinder, etc.) und zu den Konkurrenten (anderen Verlagen). Zudem ist jeder Verlag an staatliche Rahmenbedingungen gebunden und steht in einer Wechselbeziehung zur Gesellschaft.
=> zwei Schwerpunkte beim Verfassen einer Verlagsgeschichte: 1. historische Analyse der unternehmerisch- betriebswirtschaftlichen Aspekte bezüglich Organisation, Herstellung, Vertrieb, Finanzierung und 2. Analyse der kulturellen Aspekte; als weiterer Punkt ist eine Analyse des Verhältnisses der beiden Aspekte vorzunehmen und nach der Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis des Verlages zu schauen
Jäger, Georg:
– systemtheoretischer Ansatz: Verlagswesen als „Interpenetrationszone von Kultur und Wirtschaft“
– Buch als Ware mit kulturellem und wirtschaftlichem Wert, der in der Kritik bzw. auf dem Markt gemessen wird, besonderer Hintergrund durch Preisbindung, die auch Zeichen für die Wichtigkeit des Buches für die Politik ist
=> Verlag ist ein Katalysator, der kulturelle Werte in Geld umwandelt und vice versa
– doppelte Funktion zeigt sich oft auch an der internen Gliederung mit einer zweiköpfigen Verlagsleitung (Programm und kaufmännische)
– bedeutet für die Verlagsgeschichtsschreibung, dass diese nach Entscheidungsprozessen fragen muss, sowohl bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozessen als auch bei der Programmplanung
Feldtheorie von Pierre Bourdieu:
– angewandt von Helen Müller in ihrer Verlagsgeschichte über den Verlag Walter de Gruyter um 1900
=> Verlagsgeschichte eher als Fallbeispiel für die Einordnung von Verlagen in sich ändernde Marktverhältnisse / in unterschiedliche Felder mit Hilfe von unterschiedlichen Formen an Kapital (ökonomisch, kulturell, sozial oder symbolisch)
=> gut geeignet für Einordnung in verschiedene Kontexte, jedoch nur schwierigen Zugriff auf innerbetriebliche Abläufe
Überblick von Altenhein, Hans:
– seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurden immer wieder neue Theorien / Methoden für die Beschreibung / Erklärung des Buchmarktes/ Buchhandels oder Verlagswesen angewandt
=> zunächst juristische um Autoren- und Verlegerrechte und -pflichten, später (volks-)wirtschaftliche; betriebswirtschaftliche; gesellschaftswissenschaftliche und zuletzt kommunikationswissenschaftliche.
Trinckauf: Modell einer wissenschaftlichen Verlagsgeschichte (Magisterarbeit in Mainz)
– geht vom Verlag als Untersuchungsgegenstand aus, der unter den Aspekten Kultur, Wirtschaft, Organisation, Semiotik und Biographie betrachtet wird (unabhängig von eventuellen Abteilungen, damit auch zur Erfassung von Kleinverlagen)
– danach Erfassung und Analyse der Interaktion des Verlages mit seiner Umwelt (Analyserahmen von Triebel und Seidl)
– zur Erfassung von Veränderungen/ Prozessen gibt es kein Universalrezept, da zu komplexer Forschungsgegenstand -> Verweis auf Wissenschaftsgeschichte der Unternehmensgeschichte
Allgemein:
– Änderung / Erweiterung der Perspektive: nicht mehr nur Verlag zu Sortiment oder Autor zu Verlag, sondern „Vom Autor zum Leser“
=> Neue Geschichte des Buchhandels wurde nötig (1983 von Göpfert angestossen) unter Einbeziehung der ökonomisch- technischen und intellektuell-gesellschaftlichen Bedingungen
– Unterschied zu anderen Staaten: Initiative und Ausführung gehen nicht von universitären Einrichtungen aus, sondern vom Wirtschaftsverband „Börsenverein“
e) Probleme bei Verlagsgeschichten
– Quellengrundlage (teils nicht vorhanden, teils weit verstreut – besonders Quellen über Konkurrenzsituationen, teils nicht zugänglich)
– Vielzahl der zu beachtenden Aspekten kann nur individuell gewichtet werden, kein „Patentrezept“
– Umgang mit Verlagserweiterungen / Zukäufen (mehrere Stränge oder erst Beachtung ab Eintrittsdatum?)