Wie versprochen ein Artikel über meine Erfahrungen mit dem Prozess des Überarbeitens:
Für mich gliedert sich die Überarbeitung in vier Schritte: während der Arbeit überarbeite ich stetig bereits Geschriebenes; nach etwa 3/4 der Zeit und dem vollständigen ersten Text (erste Rohfassung) überarbeite ich das erstemal ganz und blick von der Arbeit auch mal auf den Gesamtkontext – auch ein guter Moment für Korrekturleser; als drittes folgt kurz vor Abgabe eine Gesamtüberarbeitung hinsichtlich Sprache, Orthographie, fehlender Inhalt (z.B. Belege) und Argumentation und ganz zum Schluß der kritischste Teil: Formation.
Überraschend ist vielleicht, daß ich eine ständige Überarbeitung habe, seit Beginn des Schreibens. Das sieht dann so aus, daß ich mir beim ersten Schreiben nicht länger als 5Sekunden (oder so) Gedanken über ein Wort oder Grammatik mache, sondern einfach drauflosschreibe und hoffe, in den „Flow“ zu kommen – dieser tolle Zustand, wenn man voll konzentriert auf sein Werk ist und die Welt um sich herum vergißt (weniger produktiv, aber gleiches Gefühl habe ich auch beim Lesen eines spannenden Buches). Ich schreibe dann schon fast automatisch an allen Sätzen, die etwas holprig klingen (also in dieser Phase jeder zweite) in eckigen Klammern [Stil]. Die eckigen Klammern lassen sich gut über die Suchen-Funktion später wiederfinden. Die [Stil]-Anmerkungen sehe ich bei jedem Durchlesen des Kapitels, wenn mir dann etwas besseres einfällt, kann ich es ändern.
Ist ein Kapitel so fertig geschrieben, geht es nach kurzer Pause an das nächste. Währenddessen hatte das erste Kapitel mein treuester Korrekturleser – Mama – so daß ich nach Fertigstellung des zweiten Kapitels schon die erste Überarbeitung des ersten vornehmen kann. Demnächst werde ich in diesem Schritt auf die externe Korrektur wohl verzichten, da es doch ein großer Aufwand für den Leser war. Es kommt dabei aber auch auf das Thema an; bei meiner Magisterarbeit hatte ich viele quellenbasierte Kapitel, bei denen ich gerne in die Formulierungen des frühen 19. Jahrhunderts gefallen bin; da war die sprachliche Korrektur (denn etwas anderes ist zu diesem Zeitpunkt kaum möglich) wichtig. Die Analyse-Kapitel hatten das weniger nötig.
So geht es weiter bis zum Ende der Rohfassung, welches etwa nach 3/4 der Zeit (zumindest bei mir) eintreten sollte. Dann mache ich das erstemal eine intensive inhaltliche Bearbeitung. Zu dem Zeitpunkt geht mir mein Thema eh auf den Nerv und ich gebe es dankbar an exteren Korrekturen und mache selbst mal Pause.
Nach dieser sehe ich mir meinen Text im Ganzen an – mit hoffentlich möglichst frischen Augen – und vergleiche den Text mit den Fragen, die ich mir am Anfang der Arbeit gestellt hatte: welche sind ausreichend beantwortet? welche nicht? was kann ich noch zu diesen Fragen herausfinden? Auch die Planung, Gewichtung und der Kontext wird überprüft: Ist noch immer der Fokus auf der Quellenbeschreibung oder ist es jetzt vielleicht doch stärker die Analyse? Habe ich 60% der Arbeit zu 20% der relevanten Fragen geschrieben? -> müsste dann dringend geändert werden und ähnliches. Aus diesem Prozess gehen die weiteren Schritte hervor: was genau muss noch recherchiert werden? Wo muß ich kürzen? Welche Quellen kann ich noch bei fehlenden Fragen anzapfen? Was habe ich schon an Bedeutung herausgearbeitet und was sollte noch stärker betont werden? etc.
Wenn ich mich dann mit neuer Energie in diesen Fragen verloren habe, schaue ich kurz vorm Abgabetermin erschreckt auf den Kalender und fange panisch mit der letzten Bearbeitung an: Sprache, Orthographie (zu diesem Zeitpunkt schon auf recht wenige Fehler reduziert; alle Unsicherheiten werden spätestens jetzt im Duden nachgeschlagen und [Stil] sollte sich auf einmal aller drei Seiten reduziert haben)
Anhand eines Ausdrucks (des ersten bei mir) streiche ich mir nun alle fehlenden Belege und Bezüge an, schaue nach, ob alle Aussagen in dem Kapitel sind, wo sie hingehören oder ob sie besser in ein anderes Kapitel passen; schaue mir den Zusammenhang (inhaltlich und sprachlich) der einzelnen Kapitel an; ergänze die Überleitungen zwischen den Kapiteln und schaue nach, ob man die Argumentation noch unter den ganzen Einzelinformationen erkennt.
Als letzter Schritt kommt die Formatierung. NAchdem ich mein gesamtes Dokument auf mehreren Rechnern und USB-Sticks gesichert habe, dazu auf mehreren Servern eine Version liegt, alle Fußnoten stimmen – kein Beleg mehr fehlt und keine eckige Klammer (bis auf meine Eigenverweise) mehr vorhanden ist, wage ich mich an die korrekte Einrichtung des Seitenrandes (das ist noch unkritisch, mach ich manchmal auch schon vorher), der Schrift (in Text, Fußnote und Überschriften), der Schrift-Ausrichtung (Blocksatz am Rechner zu lesen, macht mich wahnsinnig) und der Erstellung des Inhaltsverzeichnisses, der Kopfzeile, etc. -> Stimmt das alles; ist auch schon eine Seite für das Titelblatt reserviert, dann wandle ich meine Platzhalter aus Citavi um (netterweise unterscheidet Citavi Erstnennung und späteren Kurztitel; kann ebenda angeben und erstellt ein Literaturverzeichnis). Die Umwandlung muß noch überprüft werden (kein „ebenda“Bezug, wenn ein Eigenverweis dazwischen ist? Trennung von Forschungsliteratur und Quellen, etc.). Allerletzter Schritt sind dann die Eigenverweise, bei denen es ruckzuck ging, wenn man das zu zweit gemacht hat: ein Helfer sitzt am entscheidenden Dokument und ich an einem anderen Rechner mit der gleichen Version, da ich selbst ja am schnellsten weiß, wo etwa der gesuchte Bezug steht.
Nun noch Inhaltsverzeichnis erstellen und das ganze als pdf abspeichern. Es ist zu raten, dieses pdf auch noch mal am Bildschirm durchzugehen, ob auch keine Zeileneinrückungen an unverhoffter Stelle oder andere Überraschungen zu finden sind.
Danach das Ding schnell zum Drucker und die ausgedruckte Version abgeben – am besten nur kurz schauen, daß alles oberflächlich in Ordnung ist, unterschreiben, daß alles auf den eigenen Mist gewachsen ist und weg damit – sonst findet man doch nur noch einen winzigen Fehler, von dem man dann nächtelang träumt.
Der schlimmste Teil ist für mich immer der letzte Schritt, weil da am meisten schiefgehen kann und Murphys Gesetz prinzipiell erst dann den Rechner abstürzen lässt, Fußnoten frißt und ähnliches. Aber, je mehr ich in den ersten beiden Schritten schon machen konnte, umso problemloser wird der letzte…