Sprache und Geschichte

Wie viele andere Wissenschaften ist auch die Geschichtswissenschaft vom linguistic turn überrollt wurden.  Dieser Begriff steht für die Überlegungen vor allem angloamerikanischer und französischer Theoretiker (zu nennen sind da vor allem Saussure, Lévi-Strauss, Foucault, Barthes, Derrida und für Geschichte besonders wichtig Hayden White), die sich das Verhältnis von Sprache und Realität angeschaut haben und dabei feststellten, dass wir Realität nicht ungefiltert wahrnehmen können, sondern immer an Sprache und sogar an bestimmte Diskurse gebunden sind.

Dementsprechend werden Ideen, Mentalitäten und Lebenspraktiken heute vor allem als sprachlich vermittelte Konstrukte wahrgenommen. Extrem-Positionen stellen sogar die Existenz von sinnhafter Realität jenseits von Sprache in Frage.

Für Historiker bedeutet das vor allem eine Neubewertung von Quellen, die nun stärker als Ausdruck von bestimmten Geisteshaltungen und nicht mehr als Abbild eines „wie es eigentlich gewesen ist“ (Ranke) verstanden werden.
Bewußt wurde vielen Historikern auch, dass sie selbst durch ihre Forschung, die sie ja in Textform produzieren, zur Konstruktion von Geschichte beitragen. Sehr deutlich sagt das Arthur Danto in seinem Werk „Analytische Philosophie der Geschichte“, dessen Schlußsatz lautet:

Wir können nur herausfinden, worin ihre Bedeutung [der Gegenwart] bestanden hat, und das ist die Aufgabe der Historiker: Geschichte wird von ihnen gemacht.

Wenn Historiker also „Geschichte machen“, z.B. indem sie Begriffe für vergangene Phänomene erfinden und damit das Phänomen erst greifbar und bedeutsam machen, tun sie das, indem sie Texte produzieren, die an sprachliche Konventionen gebunden sind und sie tun es als Menschen ihrer Zeit, die in bestimmten Diskursen (z.B. nationale, religiöse, wissenschaftstheoretische etc.) stehen.

Was bedeuten diese Überlegungen nun für die praktische Arbeit an meiner Diss? Ich muss mir zum einen darüber klar sein, dass meine Quellen nur einen Teil der Diskussion um die Herrschaft abbilden können und vom „Sieger“ dieser Auseinandersetzung geschrieben wurden. Nur in wenigen Fällen habe ich Quellen von abgesetzten Herrschern, von ermordeten und hingerichteten natürlich keine.  Zum anderen muss mir auch bewußt sein, aus wessen Perspektive ich die „Geschichte von forcierten Herrschaftsenden“ erzählen will. Aus der Sicht der beseitigten Herrscher oder der neuen Herrscher oder der Stände oder des Volkes oder vielleicht auch des Auslands? Weiterhin spielt auch immer die Sicht einer Historikerin im 21. Jahrhundert aus Mainz mit hinein.
Ein Ergebnis dieser Überlegungen kann ich nicht präsentieren. Bei solchen Punkten halte ich es immer schon für wichtig, sich überhaupt die Fragen zu stellen und damit Vor-Annahmen zu hinterfragen und eingefahrene Denkstrukturen aufzubrechen.

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