So langsam wächst mein Verdacht, dass die vielbeschworene Theoriefeindlichkeit der Geschichtswissenschaft (nehmen wir mal die Sozialgeschichte aus, die ja auch teils ihre eigenen Quellen erstellt) nicht nur an der Theoriefeindlichkeit der Historiker liegt, sondern an einer gewissen Resistenz des Stoffes gegenüber den Herangehensweisen anderer Wissenschaften. (Wie man auch an meinem Sprachstil merkt,) ich versuche mich grade ein bisschen an Netzwerkanalyse – doch trotz des Willens eine Art Theorie (vielleicht besser eine theorielastige Methode) anzuwenden, steht mir einiges im Weg. Zum ersten fehlt es mir an mehreren Semestern Soziologie- und Mathematik-Studium, um die Einführungs(!)literatur zu verstehen, vor allem, da ich mich nicht eine Woche lang ausschließlich mit dem Verstehen eines Buches beschäftigen kann, was ich später vielleicht doch nicht brauche. Aber davon mal abgesehen, habe ich natürlich aus den Quellen einfach gar nicht die Daten, die man scheinbar für eine sinnvolle oder repräsentative Analyse braucht.
Andererseits drängt sich mir der Verdacht auf, dass durchaus Netzwerke entstanden sind; z.B. um die Romantiker in Wien (inkl. Jacob Grimm, der Prediger Zacharias Werner, Fr. und Dorothea Schlegel, Adam Heinrich Müller), nationale Netzwerke (regelmäßige Treffen preußischer Gelehrter) und eine Art Kunstzirkel (Carl Bertuch und unzählige Maler und Ausstellungsleiter). Leider habe ich immer nur eine Handvoll Erwähnungen der gleichen Personen. Ein Beispiel: Bertuch hat nach dem Kennenlernen von Josef Hammer-Purgstall (Orientalist) eine Freundschaft zu diesem entwickelt und die beiden Männern trafen sich in Wien häufig, um auch weitere Gelehrte zu besuchen.
In diesem Fall habe ich vier Erwähnungen über einen Monat verteilt von Begegnungen, an denen Bertuch und Hammer-Purgstall beteiltigt waren. Für die Geschichtswissenschaft reicht das als Grundlage für obengemachte Aussage, da wir davon ausgehen können, dass weitere Begegnungen sich eben nicht in den Quellen niedergeschlagen haben und die Beschreibung Hammer-Purgstalls in Bertuchs Tagebuch immer vertrauter wird, was auf eine engere Freundschaft hindeutet. Reicht das auch aus als Grundlage für ein Netzwerk? Oder sollte ich lieber ganz altmodisch einfach nur nach den Verbindungen der Gelehrten untereinander schauen und die Häufigkeit ganz außer acht lassen? (also ein großes, buntes Bild malen, mit vielen Strich-verbindungen, die alle die gleiche Relevanz hätten)
Wie geht Ihr mit der praktischen Anwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft um? Nutzt Ihr die angegebenen Methoden? Oder sind das eher Anregungen?
die vielbeschworene theoriefeindlichkeit der geschichtswissenschaft war der grund, warum ich nach fünfeinhalb semestern zur soziologie gewechselt habe… 😉
finde es aber toll, dass du dich entgegen dieser tendenz mit einem theoretischen ansatz an die magisterarbeit machen willst. wünsche dir viel erfolg, auch wenn ich leider auf die schnelle keinen rat für dich parat hab…
Als ich mich in der Soziologie versucht habe, war ich schon zu weit in Geschichte fortgeschritten. Mein Denken war zu sehr an die mehreren Wahrheiten der Vergangenheit gewöhnt und sich dann nur auf ein System/ eine Großtheorie einzulassen, war zu ungewohnt.
Trotzdem denke ich – grade wegen dieser Schwierigkeiten – dass sich Historiker und Soziologen viel zu sagen haben und Theorien auch jenseits der Sozialgeschichte oft hilfreich wären.
Ich werde das ganze jetzt mit Visualisierung versuchen und dann schauen, ob sich Muster ergeben.