Relevanz von Geschichte

Mit Erstaunen schaue ich dieses Frühjahr öfter in die amerikanische Geschichts-Blogosphäre und auf die Geschehnisse, von denen dort berichtet wird.

Vor kurzem wieder ein Beitrag, der zwar sehr offensichtlich die gesellschaftliche und vor allem politische Relevanz von Geschichte zeigt, dies aber leider an einem Negativ-Beispiel. Worum geht’s?

In dem Blog der Historical Society schrieb Heather Cox Richardson (Professorin an der University of Massachusetts, Schwerpunkt Amerikanischer Bürgerkrieg) im September 2010 hoffnungsvoll über eine neue Richtlinie, dass Lehrpläne nicht mehr so stark ans Schulbuch gebunden seien, sondern Lehrer (und HomeSchool Teacher) animiert werden auch Quellen, die im Internet verfügbar sind, zu benutzen. Mitte dieses Monats musste sie jedoch ihre Hoffnung auf einen ausgewogeneren Geschichtsunterricht durch zusätzliche Materialien begraben. Die neue Richtlinie ermöglicht es allen, Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen, so auch einer Firma eines Republikaners, die Videos mit sehr eingeschränkter und unkritischer Sicht auf die amerikanische Geschichte als Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellt. Aber bildet Euch selbst über die Qualität der Videos Eure Meinung.

Es bleibt festzuhalten, dass Geschichtsunterricht von politischen Parteien zur Einflussnahme genutzt werden kann, mit klar positionierter Geschichtspolitik.

Die enge Verbindung von Geschichtswissenschaft, Geschichtspolitik und aktueller Politik wird ebenfalls an dem „Fall Cronon“ von März 2011 deutlich: Ein Professor der University of Wisconsin, William Cronon, schreibt einen kritischen Artikel in seinem Blog und in der New York Times über den historischen Kontext aktueller politischer Ereignisse in Wisconsin. Der republikanischen Partei gefällt dieser Artikel nicht so *Achtung Sarkasmus*, also versucht sie, mit Hilfe eines „Recht auf Information-Gesetzes“ Zugriff auf die offiziellen Emails von Cronon zu bekommen – nach Sicht diverser wissenschaftlicher Vereinigungen, die zu dem Fall Stellung bezogen, einzig in der Hoffung, ihm Verfehlungen nachzuweisen und ihn und andere einzuschüchtern. Das Vorgehen der Partei, eben nicht inhaltlich Stellung zum Artikel zu beziehen, sondern den Historiker einzuschüchtern und/oder bloßzustellen, wird besonders kritisiert, z.B. mehrfach von Anthony Grafton hier und hier.  Nur gut, dass Mr Cronon ein gestandener Historiker ist oder wie Mr Grafton es formuliert: „Happily, Cronon has been toughened by decades of academic life. He’ll be blogging—and teaching and writing—long after Wisconsin voters have sent these Republicans back to obscurity.“ (Read more http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk/2011/03/wisconsin-the-cronon-affair.html#ixzz1NrGgQLI4)

Positiv gewendet bedeuten diese ganzen Vorfälle in den USA, dass zumindest die Konservativen der Vergangenheit große Wirkmacht auf/für die Gegenwart zusprechen und sie daher die Deutungshoheit bekommen wollen.
Vergleichbares fällt mir in Europa nicht ein, möglicherweise ist es hier aber subtiler oder Historisches wird weniger als Argument genutzt?

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