Gelehrtenrepublik

Und noch ein unklares Wort aus dem Bereich meiner Magisterarbeit: „Gelehrtenrepublik“. Was ist das eigentlich? In der Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit ähnelt es häufig dem heutigen Schlagwort der „Wissensgesellschaft“, von der auch keiner so recht weiß, wer und was damit bezeichnet wird bzw. welche Realität damit bezeichnet wird oder ob es nicht doch auch etwas Ideelles hat. (Zum Glück) sind das Fragen für die Soziologen; ich empfinde es als schwierig genug, mich mit der Gelehrtenrepublik auseinanderzusetzen, die seit ca. 150-200 Jahren beendet ist und aus der Distanz betrachtet werden kann. Möchte nicht mitten in der Sache stecken, die ich versuche zu benennen (muss ich als Historiker zum Glück auch nicht 🙂 )

Doch nun zum Thema:

Die Gelehrtenrepublik (lat. res publica li(t)teraria; engl. republic of letters; frz. république des lettres) meint das Gefüge öffentlich gelehrter Schriftlichkeit, d.h. die Gesamtheit der Gelehrten, der Gelehrtenprouktion und der Verwaltung von Literatur. Sie ist ein Ausdruck für eine zeitliche begrenzte Art der Wissen(-schaft)sorganisation, zugleich auch eine Utopie und ein angestrebtes Ideal.
Im 19. Jahrhundert wurde sie von anders (national statt universal) gelagerten Konzepten, denen der Öffentlichkeit und der Wissenschaft, abgelöst. Im 20. Jahrhundert erlangte sie als scientific community neue Bedeutung. Sie versucht, Unterschiede aller Art zwischen Gelehrten zu überkommen (Konfessionalismus, Nationalismus, Sprachbarrieren). Mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und dem verstärkten Nutzen von Nationalsprachen in der Wissenschaft (statt Latein oder Französisch), erlosch auch das Ideal der Gelehrtenrepublik. Eine Zeitlang wurde noch von mehreren Gelehrtenrepubliken gesprochen, was mMn aber dem Grundgedanken „einer Republik für Gelehrte“ widersprach.

Das Ideal beschreibt die Gemeinschaft von Gelehrten und Gelehrsamkeit in der ständigen Diskussion tradierten Wissens und antiker Rezeption. Im 18. Jh. wurde dies als Realität wahrgenommen. Der Vorstellung vom einsamen Forscher und Eigenbrötler wurde das Gemeinschaftsideal gegenübergestellt, welches vor allem die Freundschaft und den Austausch von Wissen betonte.
Wichtige Zentren der Gelehrtenrepublik waren seit dem 17. Jahrhundert Akademien, Bibliotheken, Observatorien, Universitäten; im 18. Jahrhundert zusätzlich Gelehrtenzirkel (z.B. zur Entwicklung einer Enzyklopädie oder um Zeitschriften).
Der Austausch zwischen räumlich getrennten Gelehrten erfolgte per Post, die in der Frühen Neuzeit immer effizienter wurde. Eine umfangreich Gelehrtenkorrespondenz förderte die Reputation des Gelehrten; sie wurde nicht nur von Gelehrten, sondern auch von Intellektuellen, d.h. Vermittlern, betrieben. Die Briefe gingen oft auch an einen Ort – statt einen einzelnen Adressaten. Sie waren zur Veröffentlichung bestimmt und gingen z.T. von Vereinigungen aus. Briefwechsel von besonderem wissenschaftlichen oder künstlerischem Interesse wurden oft schon zu Lebzeiten der Briefpartner von diesen herausgegeben; eine Praxis, die im 19. Jahrhundert noch intensiver betrieben wurde. Der Inhalt dieser Briefe drehte sich meist um das gelehrte/ wissenschaftliche Arbeiten, Ergebnisse, Diskussionen, aber auch Personales oder Reiseberichte. Im 19. Jahrhundert – mit Beginn der Romantik – hielt das Persönliche Einzug in die Briefwechsel. Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurde solche Korrespondenz in besonderem Maße auch von Frauen geführt, was – neben der Betonung des Gefühls in der Romantik – auch zu dem genannten Stilwechsel führte. Der Charakter dieser Briefwechsel wurde immer literarischer und nur selten wurde noch wissenschaftliche Inhalte thematisiert. Ausnahmen davon sind die Briefe der Brüder Grimm untereinander, die auch an getrennten Orten gemeinsam arbeiteten und sich brieflich austauschten. Die allgemeineren Mitteilungen wurden in den aufkommenden Zeitschriften abgedruckt. Trotzdem behielt der Brief bis zum Telefon seine Bedeutung für die Gelehrtenkommunikation bei.

Einer der wichtigsten Vertreter des Ideals der Gelehrtenrepublik war Erasmus von Rotterdam, dessen Name nicht zufällig für das heutige Studentenaustauschprogramm steht. Schon seine Studienzeit fand in verschiedenen Regionen Europas statt und auch während seines Gelehrtenlebens reiste er durch fast ganz (West-)Europa und kommunizierte mit Gelehrten, Reformatoren (von denen einige gelehrt waren, andere nicht), politischen Entscheidungsträgern (bei denen er auf Gelehrsamkeit hoffte) und anderen Bekannten durch Briefe – als Humanist übrigens auf Latein, der damaligen Wissenschaftssprache.
In späteren Jahrhunderten waren Francis Bacon, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Voltaire einflussreiche Vetreter der Gelehrtenrepublik.

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