„Die Ursprünge der modernen Welt“

Vor einigen Monaten ist mir das Buch von Robert Marks über die Ursprünge der modernen Welt in die Hände gefallen, wie ich bereits hier berichtete. Nun endlich – nach langer Unterbrechung – habe ich das Buch ganz gelesen und kann davon berichten:

Aus der praktischen (Lehr-)Erfahrung heraus, dass es oftmals an Überblickswissen – besonders in Bereichen jenseits der eurozentrischen Perspektive – fehlt, ist dieses Buch konkret mit dem Ziel entstanden Überblick statt Detail zu geben. Dem Autor sind die Schwächen eines solchen Ansatzes durchaus bekannt, wagt aber dennoch diesen Schritt.
Ausgehend von der Beobachtung, dass traditionelle westliche Geschichtsschreibung die eurozentrische Perspektive einnimmt, wählt Marks hier bewußt andere Perspektiven, mit denen er auf die Ereignisse blickt. Basierend auf demographischen und wirtschaftlichen Daten, wonach Asien in der Frühen Neuzeit rund 2/3 der Bevölkerung und 4/5 der Wirtschaftsproduktion ausmachte, ist sein Blick vor allem nach und von Asien aus gerichtet. Die versuchte völlige Abkehr vom Eurozentrismus ist nicht immer überzeugend; besonders bei der Analyse der Gründe für den Ausbruch der Industriellen Revolution in England wirkt sie teils sehr an den Haaren herbeigezogen. Die Unwilligkeit des Autors, Europa eine eigene bedeutungsvolle Dynamik zuzusprechen, verkehrt sich hier ins Negative.
Bei seiner narrativen Darstellung geht er chronologisch vor, zusätzlich steht in jedem Kapitel ein anderes Thema im Mittelpunkt, wobei er in der unbegründeten Auswahl dem Konzept des Hegelschen „Weltgeistes“ zu folgen scheint.
Die These, dass Europa aus einer schlechten Ausgangslage heraus, den Abstand zu Asien aufholen wollte, zieht sich durch das ganze Buch und wird anhand vieler Entwicklungen überzeugend begründet. Diese Aufholjagd wurde im 19. Jahrhundert beendet, wo sich das Verhältnis von Asien und Europa umkehrte, die westliche Welt machte um 1900 80% der Produktionsleistung aus. Diese „Kluft“ zwischen der westlichen Welt und Asien versucht Marks aus der asiatischen Perspektive zu betrachten, d.h. er fragt nach den Bedingungen für den Verfall der (Wirtschafts-)Kulturen, nicht nach denen für den wahrgenommenen Aufstieg der europäischen Kultur. Diesen Verfall macht er für China besonders an der schädlichen Nutzung von Opium fest, welches die Westeuropäer in zwei Opiumkriegen dem chinesischen Markt aufdrängten. Die Produktion des agrarischen Opiums für China führte in Indien – neben anderen Faktoren – zur indischen „Deindustrialisierung“, die von den Briten aus Angst vor Konkurrenz weiter forciert wurde. Den wichtigsten Faktor für eine erfolgreiche Industrialisierung sieht Marks in der politischen Durchsetzungskraft eines starken Staates, wie sie in England, Deutschland, Russland und auch Japan vorhanden war.

Während die wirtschaftlichen Erklärungen für die globale Geschichte – bis auf einige Punkte – durchaus stimmig sind und teils neue Antworten auf alte Probleme geben, sind die ideengeschichtlichen Erklärungen zu schwach. Hier fehlen die Details und das Verständnis für Mechanismen von Ausbreitung von Ideen. Obwohl der englische Untertitel eher auf eine ökologische Perspektive hinweist, werden in dem Buch wirtschaftliche Kontexte stärker betont als politische, während kulturgeschichtliche fast ganz außer Acht gelassen werden.
Die narrative Darstellung, die Marks ausdrücklich anstrebt, ist sehr gelungen und eine willkommene Abwechslung zu überladenen und schwer verständlichen Darstellungen einiger anderer Historiker. Es macht einfach Spass, das Buch zu lesen und trotzdem gelingt es, die Wissenschaftlichkeit nicht zu vernachlässigen.

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